Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 15.11.2007
Aktenzeichen: 12 U 69/07
Rechtsgebiete: VVG, BGB
Vorschriften:
VVG § 61 | |
BGB § 305c | |
BGB § 307 |
Oberlandesgericht Karlsruhe 12. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil
Geschäftsnummer: 12 U 69/07
Verkündet am 15. November 2007
In dem Rechtsstreit
wegen Forderung aus Transport-, Reise- und Warenlagerversicherung
hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 15. November 2007 unter Mitwirkung von
Vors. Richter am Oberlandesgericht Zöller Richter am Oberlandesgericht Dr. Stecher Richterin am Landgericht Dr. Menges
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe - IV. Kammer für Handelssachen Sitz Pforzheim - vom 1. März 2007 - 15 O 82/06 KfH IV - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 84.835,20 Euro zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 1/4 und die Beklagte 3/4.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Dem Geschäftsführer der Komplementärin der Klägerin wurde auf der Karibikinsel Sankt Maarten im Dezember 2005 eine Tasche entwendet, die eine Schmuckkollektion enthielt. Der Geschäftsführer wollte im Geschäftslokal eines Autovermieters seinen Mietwagen zurückgeben. Er hatte die Tasche am Geschäftstresen neben sich auf den Boden gestellt. Als er um Unterschriften gebeten wurde, beugte er sich vor, um zu unterschreiben. Unmittelbar danach stellte er fest, dass die Tasche verschwunden war. Die Tasche konnte nicht mehr aufgefunden werden.
Das Landgericht hat die Entschädigungsklage abgewiesen mit der Begründung, dem Geschäftsführer falle Fahrlässigkeit zu Last. Wegen der vereinbarten Klausel "Der Versicherungsnehmer hat bei allen Handlungen die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns des Edelstein-, Schmuck- und Uhrengewerbes wahrzunehmen." sei der beklagte Versicherer leistungfrei. Die Berufung hatte teilweise Erfolg.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt Deckung aus einer Transport-, Reise- und Warenlagerversicherung.
Zwischen der Klägerin und der Beklagten bestand im Dezember 2005 zur Versicherungsscheinnummer GTR 60/0782/0621323 eine Transport-, Reise- und Warenlagerversicherung, an der die Beklagte neben der A - Versicherungs-AG zu 80% "als Einzelschuldner" beteiligt war. In der Reiselagerversicherung entsprach der Versicherungswert dem Verkaufspreis abzüglich von 20%. In den Vertrag einbezogen waren unter anderem folgende Allgemeine Vertragsbedingungen (B 1):
"[...]
4. REISELAGERVERSICHERUNG
[...]
4.2 Versicherte Gefahren und Schäden
4.2.1 Es besteht Versicherungsschutz für alle Verluste und Beschädigungen der versicherten Waren während der Mitführung auf Geschäftsreisen und Geschäftsbesuchen [...], soweit sie nicht ausdrücklich in den nachfolgenden Bestimmungen von der Versicherung ausgeschlossen sind.
[...]
4.3 Nicht versicherte Gefahren und Schäden
Ausgeschlossen von der Versicherung sind alle Schäden und Verluste, entstanden durch:
4.3.1 Krieg, Bürgerkrieg [...]
[...]
4.4 Versicherungs-, Entschädigungswerte und Maxima
[...]
4.5 Aufbewahrungsvorschriften
Voraussetzung für den Versicherungsschutz ist, dass
4.5.1 die versicherte Ware unter Aufsicht des Reiselagerbegleiters ist [...]
[...]
7. ALLGEMEINE VERTRAGLICHE BESTIMMUNGEN
7.1 Allgemeine Pflichten
Der Versicherungsnehmer hat bei allen Handlungen die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns des Edelstein-, Schmuck- und Uhrengewerbes wahrzunehmen.
7.2 Aufbewahrung der versicherten Sachen und Sicherungseinrichtungen
[...]
7.5 Bestimmungen für den Schadensfall
[...]
7.5.3 Bei jedem Schadensfall, der eine strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen kann (z.B. Diebstahl, Einbruchdiebstahl, Beraubung, Unfälle), ist (bei Verkaufsverhandlungen nach Möglichkeit und sofern zumutbar) der zuständigen Polizeibehörde Anzeige zu erstatten und die Aufnahme des Tatbestandes zu beantragen.
[...]
7.8 Obliegenheitsverletzungen
[...]
7.8.2 Abweichend von § 6 Absatz 1 Satz 3 VVG bleibt der Versicherer wegen Verletzung einer vor Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllenden Obliegenheit auch dann leistungsfrei, wenn er von seinem Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht.
[...]
7.11 Vertragsgrundlagen
Soweit in diesen Geschriebenen Vereinbarungen nichts anderes bestimmt ist, gelten die folgenden beigefügten Tarife, Bedingungen und Klauseln:
[...]
e) Merkblatt für Reisebegleiter;
[...]"
Im "Merkblatt für Reiselagerbegleiter des Schmuckwaren-, Uhren- und Bijouterie-Gewerbes" wird angeführt:
"[...]
3.4 Der nächstgelegenen Polizeibehörde sind außerdem unverzüglich anzuzeigen
3.4.1 Schäden durch Feuer, Einbruchdiebstahl, Diebstahl, Beraubung, räuberische Erpressung oder Transportmittelunfall;
[...]"
Am 6. Dezember 2005 reiste der Geschäftsführer der Komplementärin der Klägerin, Matthias K., auf die Karibikinsel Sankt Maarten, um dort örtlichen Schmuckhändlern Schmuck zu verkaufen. Nachdem er verschiedene Schmuckhändler aufgesucht hatte, begab er sich am 7. Dezember 2005 gegen 18.00 Uhr zur AVIS-Rückgabestation bei dem Flughafen der Insel, einem zur Straßenseite hin geschlossenen und mit einer Glasfront versehenen Geschäftslokal, um dort seinen Mietwagen zurückzugeben und anschließend weiterzufliegen. Dabei führte er eine alte Ledertasche mit sich, die er - am Geschäftstresen wartend - neben sich auf den Boden stellte. Als ihn eine Angestellte der AVIS-Rückgabestation um Unterschriften bat, beugte er sich vor, um zu unterschreiben. Unmittelbar danach stellte er fest, dass die Tasche verschwunden war. Die Tasche konnte nicht mehr aufgefunden werden.
Der Geschäftsführer M. K. verschaffte sich nach dem Verlust der Tasche bei der Zollabfertigung Kopien des abgefertigten Carnet-Einfuhrblatts. Anschließend erstattete er gegen 20.40 Uhr Anzeige bei der Polizei Abteilung "Kriminaldienst - Team Bekämpfung von Schwerverbrechen" in Philipsburg / Sankt Maarten.
Der von der Klägerin beauftragte Versicherungsmakler unterrichtete die Beklagte mit Schreiben vom 14. Dezember 2005 (B 7) über den Schadensfall, dem er unter anderem einen Bericht über den ihm geschilderten Verlauf der Geschehnisse vom 14. Dezember 2005, einen in niederländischer Sprache abgefassten Polizeibericht vom 7. Dezember 2005 und eine Schadensaufstellung beifügte. Mit Schreiben vom 4. Januar 2006 übermittelte der Versicherungsmakler der Beklagten eine "detaillierte Schilderung des Hergangs" durch den Geschäftsführer der Komplementärin der Klägerin (A 1). Mit Schreiben vom 16. Dezember 2005 (B 18), 22. Dezember 2005 (B 19) und 20. Januar 2006 (B 20) lehnte die Beklagte eine Deckung des Schadens ab.
In ihrem Schreiben vom 16. Dezember 2005, in dem sie auf einen Herrn M. Baumann als Bearbeiter verwies, führte die Beklagte unter anderem aus:
"[...]
Unabhängig davon, dass sowohl zum Umfang u. Wert der Kollektion noch entsp. Nachweise fehlen, kann bereits schon heute festgestellt werden, dass für diesen Schaden im Rahmen der Police keine Deckung besteht.
Voraussetzung für den Versicherungsschutz ist eine Beaufsichtigung der Kollektion entsp. Ziff. 4.5.1 der Police. Eine Beaufsichtigung hat in diesem Fall jedoch nicht stattgefunden, da der Kollektionskoffer in einem günstigen Moment, als VN abgelenkt war, offensichtlich wegen der Rückgabe des Mietwagens, die Beaufsichtigung aufgegeben hat. Dies wird auch dadurch belegt, dass VN bezüglich des Tatablaufs keine konkreten Angaben machen kann, sondern hier nur Vermutungen anstellt.
[...]
Uns bleibt daher nur festzustellen, dass im Rahmen der Police für diesen Schaden keine Deckung besteht, weshalb wir eine Übernahme des Schadens ablehnen."
Das Schreiben vom 20. Januar 2006, in dem die Beklagte die Regulierung endgültig unter Hinweis auf § 12 Abs. 3 VVG ablehnte, ging der Klägerin am 24. Januar 2006 zu. Mit Schreiben vom 31. Januar 2006 (B 26) kündigte die Beklagte den Versicherungsvertrag. Die Klägerin machte gegen die Beklagte am 17. Juli 2006 eine Feststellungsklage anhängig, die der Beklagten am 25. Juli 2006 zugestellt wurde.
Die Klägerin hat behauptet, der Geschäftsführer ihrer Komplementärin habe die Tasche direkt an seinem Bein abgestellt und Körperkontakt zu ihr gehalten. In der Tasche hätten sich unter anderem 156 Schmuckstücke im Wert von rund 141.830 Euro (Aufstellung B 8 mit 7% Aufschlag wegen Preissteigerungen) befunden. Eine Obliegenheitsverletzung falle ihr weder auf der Grundlage der Klausel 4.5.1 noch auf der Grundlage der Klausel 7.5.3. in Verbindung mit Nr. 3.4.1 des Merkblatts zur Last. Die Erstattung einer Anzeige direkt auf dem Gelände des Flughafens sei weder sinnvoll noch möglich gewesen. Jedenfalls habe die Beklagte die von ihr behauptete Verletzung einer Obliegenheit nicht zum Anlass genommen, wie erforderlich rechtzeitig zu kündigen.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin vertragsgemäße Versicherungsleistungen zu erbringen aus Schadensfall - Verlust einer Schmuckkollektion - am 7. Dezember 2005 auf Sankt Maarten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen, der Klägerin fehle das erforderliche Feststellungsinteresse, da sie den ihr entstandenen Schaden beziffern könne. Der Antrag der Klägerin nehme nicht auf die gegenüber einer vollen Haftung reduzierte Beteiligungsquote der Beklagten Rücksicht. Die Beklagte sei nach § 61 VVG leistungsfrei. § 61 VGG sei mit der Klausel 7.1 vertraglich zu Lasten des Versicherungsnehmers abgeändert worden. Der Geschäftsführer der Komplementärin der Klägerin habe die Tasche in ungefähr einem Meter Entfernung abgestellt. Damit habe er die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht gewahrt. Zudem habe er gegen die Klausel 4.5.1 verstoßen und auch entgegen Nr. 3.4 des Merkblatts nach dem Vorfall nicht unverzüglich Anzeige bei der nächstgelegenen Polizeibehörde erstattet.
Das Landgericht hat mit Urteil vom 1. März 2007, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, nach Anhörung des Geschäftsführers der Komplementärin der Klägerin die Klage abgewiesen. Die Frage der Zulässigkeit der erhobenen Feststellungsklage könne dahinstehen. Der Geschäftsführer der Komplementärin der Klägerin habe sich fahrlässig verhalten. Aufgrund der wirksamen Haftungserweiterung in Klausel 7.1 sei die Beklagte leistungsfrei.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Die Klägerin macht geltend, dem Geschäftsführer M. K. falle ein fahrlässiges Verhalten nicht zur Last. Er habe auf die Tasche jederzeit Zugriff nehmen können. Auf eine teilweise Abänderung des § 61 VVG durch die Klausel 7.1 könne sich die Beklagte nicht berufen, weil die Vorgaben, die die § 6 Abs. 1 Satz 3, § 15a VVG für das Verhalten des Versicherers nach Verletzung einer Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer machten, nicht über einen teilweisen Haftungsausschluss umgangen werden dürften. Obliegenheitsverletzungen habe sich die Klägerin nicht zuschulden kommen lassen. Eine Obliegenheitsverletzung vor Eintritt des Versicherungsfalls könne die Beklagte nicht geltend machen, weil sie den Versicherungsvertrag nicht rechtzeitig gekündigt habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 1. März 2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 113.464,00 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, der Geschäftsführer der Komplementärin der Klägerin habe mindestens fahrlässig gehandelt, da er die Tasche nicht zwischen seine Beine geklemmt oder auf der Theke abgestellt habe. Die Klausel 7.1 formuliere keine Obliegenheit des Versicherungsnehmers, sondern erstrecke die Rechtsfolgen des § 61 VVG auf einfache Fahrlässigkeit. Die Leistungsfreiheit der Beklagten ergebe sich schließlich aus der Verletzung einer auf der Klausel 7.5.3 in Verbindung mit Nr. 3.4.1 des Merkblatts beruhenden Obliegenheit nach Eintritt des Versicherungsfalls, da der Geschäftsführer der Komplementärin der Klägerin nicht unverzüglich bei der nächstgelegenen Polizeidienststelle Anzeige erstattet habe.
Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 15. November 2007 den Geschäftsführer der Komplementärin der Klägerin, Matthias K., zur Aufklärung des Sachverhalts angehört. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 15. November 2007 wird verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache in Höhe von 84.835,20 Euro Erfolg. Der darüber hinausgehende Zahlungsantrag der Klägerin ist unbegründet, so dass die Berufung insoweit zurückzuweisen war.
A.
Der von der Klägerin in der Berufungsinstanz zuletzt geltend gemachte Zahlungsantrag ist zulässig.
1. Die Klägerin konnte noch in der Berufungsinstanz auf der Grundlage des § 264 Nr. 2 ZPO von der Feststellungs- zur Leistungsklage übergehen, ohne dass es zusätzlich der Voraussetzungen des § 533 ZPO bedurfte.
2. Gegen die alleinige Inanspruchnahme der Beklagten bestehen keine Bedenken. Die Beklagte und die A- Versicherungs-AG, die der Klägerin nach den Regelungen des Versicherungsvertrags "als Einzelschuldner" - also als Teilschuldner - einstandspflichtig waren, sind im Prozess keine notwendigen Streitgenossen. Die Klägerin konnte deshalb ohne weiteres zulässig auch nur einen der Teilschuldner in Anspruch nehmen.
B.
Die Klage ist begründet, soweit die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung in Höhe von 84.835,20 Euro aus § 1 Abs. 1 Satz 1, § 49 VVG geltend macht:
1. Die Beklagte ist nicht nach § 61 VVG leistungsfrei.
a) Dem Geschäftsführer M. K., dessen Verschulden sich die Klägerin nach § 31 BGB zurechnen lassen muss, kann grobe Fahrlässigkeit im Zusammenhang mit dem Verlust der Tasche am 7. Dezember 2005 nicht vorgeworfen werden. Dabei kann dahinstehen, ob Geschäftsführer M. K. die Tasche - wie von der Klägerin behauptet - direkt neben sich oder - wie von der Beklagten vorgetragen - in einem Meter Entfernung abgestellt hatte. Er behielt die Tasche jedenfalls in seiner unmittelbaren Nähe. Durch die Mitnahme eines alten Fabrikats hatte er dafür gesorgt, dass sein Gepäck nicht als augenfällig lukrative Beute erschien, und so die Gefahr verringert, Opfer eines Diebstahls zu werden. Das Geschäftslokal war zur Straße hin abgeschlossenen. Dichtes Gedränge herrschte nicht. Auch wenn der Geschäftsführer M. K. keinen durchgehenden Körperkontakt zu der Tasche hielt, lässt sich unter diesen Umständen ein Vorwurf eines auch in subjektiver Hinsicht erheblich gesteigerten Verschuldens nicht begründen.
Die von der Beklagten angeführte Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf r+s 2002, 483 betrifft einen ganz anders gelagerten Sachverhalt, der sich "im Herzen des Diamanten-Viertels von Antwerpen" ereignete.
b) Ob der Versicherungsfall durch einfache Fahrlässigkeit des Geschäftsführers M. K. herbeigeführt wurde, bedarf keiner Entscheidung. Selbst wenn ihm ein Verstoß gegen die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zur Last zu legen wäre, befreite dies die Beklagte nicht von ihrer Leistungspflicht. Entgegen der Auffassung des Landgerichts haben die Parteien mit der Klausel 7.1 für die Leistungsfreiheit wegen Herbeiführung des Versicherungsfalls keinen verschärften Sorgfaltsmaßstab vereinbart. Eine solche dem Versicherungsnehmer nachteilige Regelung lässt sich der Klausel, die jedenfalls dem Wortlaut nach zur Frage der Leistungsfreiheit schweigt, im Rahmen der gebotenen Auslegung nicht entnehmen; sollte sie gleichwohl auch als Bestimmung einer Leistungsfreiheit bereits bei fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls verstanden werden können, so käme sie wegen § 305c Abs. 2 BGB mit diesem Gehalt nicht zu Anwendung; jedenfalls aber wäre sie in ihren dem Versicherungsnehmer nachteiligen Folgen nicht klar und verständlich, weshalb sie gemäß § 307 Abs. 1, § 310 Abs. 1 BGB unwirksam wäre.
Allgemeine Versicherungsbedingungen sind Allgemeine Geschäftsbedingungen des Versicherers. Dieser Charakter der Versicherungsbedingungen bestimmt die bei ihrer Auslegung anzuwendenden Maßstäbe; er hindert es, sie "gesetzesähnlich" auszulegen. Vielmehr sind - nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Senats - Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an. Für eine an diesen Grundsätzen orientierte Auslegung ist nicht maßgeblich, was sich der Verfasser der Bedingungen bei ihrer Abfassung vorstellte. Die Entstehungsgeschichte der Bedingungen, die der Versicherungsnehmer typischerweise nicht kennt, hat bei der Auslegung - wie auch sonst bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen - außer Betracht zu bleiben; versicherungswirtschaftliche Überlegungen können allenfalls insoweit Berücksichtigung finden, wie sie sich aus dem Wortlaut der Bedingungen für den verständigen Versicherungsnehmer unmittelbar erschließen (BGH NJW-RR 2000, 1341 m.w.N.).
Der durchschnittliche Versicherungsnehmer, der bei einer Transport-, Reise- und Warenlagerversicherung regelmäßig Kaufmann sein wird, entnimmt der Klausel 7.1, dass im Verhältnis zum Versicherer an sein Verhalten die erhöhten Sorgfaltsanforderungen eines ordentlichen Kaufmanns in seinem Geschäftszweig gestellt werden. Er erkennt dabei, dass von ihm nicht lediglich die im Verkehr allgemein erforderliche Sorgfalt erwartet wird, sondern dass bei ihm ein strengerer Maßstab angelegt wird und ein Bestand an berufsspezifischen Kenntnissen und Fähigkeiten vorausgesetzt wird. Regelmäßig wird er wissen, dass ein solcher Sorgfaltsmaßstab an ihn auch bei seinen sonstigen Handelsgeschäften angelegt wird (§ 347 HGB). Dass sich durch eine solche Bestimmung - anders als in seinem sonstigen Geschäftsbereich (§ 347 Abs. 2 HGB) - eine Verschärfung seiner Verantwortlichkeit in den Bereichen ergibt, in denen regelmäßig nur für grobes Verschulden einzustehen ist, erschließt sich dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer anhand des Wortlauts und dem ihm erkennbaren Sinnzusammenhang nicht. Auch die Überschrift der Klausel 7.1 stellt keinen Bezug zu einer Leistungsfreiheit wegen schuldhafter Herbeiführung des Versicherungsfalls her. Die Wendung "Allgemeine Pflichten" kann der Versicherungsnehmer weit eher als allgemeinen Vorspann für die im nachfolgenden Bedingungstext enthaltenen Verhaltensbestimmungen verstehen.
Dass der BGH (VersR 1972, 85) der Klausel einen anderen Sinn beigelegt hat, welchen auch die frühere Rechtsprechung des Senats (VersR 1982, 1189) zugrunde gelegt hat, vermag das Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers, der weder die Entstehungs- noch die Interpretationsgeschichte einer Klausel kennen muss und kennen wird, nicht zu prägen. Wollte man gleichwohl annehmen, der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne die Klausel auch im Sinne einer vertraglichen Verschärfung seiner Verantwortlichkeit nach § 61 VVG verstehen, so würden zwei rechtlich vertretbare Auslegungen nebeneinander stehen, weshalb nach § 305c Abs. 2 BGB die für den Versicherungsnehmer günstigere gälte.
Hielte man letztlich doch den von der früheren Rechtsprechung des BGH (a.a.O.) entwickelten Inhalt der Klausel für maßgebend, so hätte die missverständliche Fassung der Klausel 7.1 zur Folge, dass sie insgesamt unbeachtlich ist. Die Klausel ist mit diesem Inhalt intransparent (§ 307 Abs.1 BGB). Die unklare Darstellung in der Klausel 7.1 erschwert dem Versicherungsnehmer die Rechtswahrung, weil sie die Frage verschleiert, in welchem Fall der Versicherungsnehmer bei verschuldeter Herbeiführung des Versicherungsfalls mit einer Leistungsfreiheit des Versicherers rechnen muss. Damit schlägt der formale Mangel unzureichender Klarheit auf eine materielle Benachteiligung des Vertragspartners durch (dazu Staudinger/Coester, BGB, Neubearb. 2007, § 307 Rdnr. 178).
Eine eigenständige Obliegenheit, deren fahrlässige Verletzung gemäß § 6 Abs. 1 VVG zur Leistungsfreiheit der Beklagten führen könnte, enthält die Klausel 7.1 nicht. Die Klausel lässt nämlich nicht hinreichend deutlich erkennen, welches Verhalten vom Versicherungsnehmer verlangt wird (BGH VersR 1985, 979; Römer/Langheid, VVG, 2.Aufl., § 6 Rdn. 16). 2. Auf Leistungsfreiheit wegen unzureichender Aufsicht des Reiselagerbegleiters (Klausel 4.5.1), kann sich die Beklagte nicht berufen. Hier fehlt es schon an den tatbestandlichen Voraussetzungen. Ein Gegenstand, den der Reiselagerbegleiter mit sich führt und den er in einem nur spärlich besuchten Geschäftslokal neben sich abstellt, ist nach dem Sprachgebrauch und dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers der Aufsicht nicht schon dann entzogen, wenn der Blick nicht durchgehend auf ihn gerichtet ist. Jedenfalls aber scheitert die Leistungsfreiheit der Beklagten daran, dass sie den Versicherungsvertrag nicht rechtzeitig fristlos kündigte:
a) Eine Kündigung war nicht entbehrlich, weil die Klausel 4.5.1 eine Obliegenheit enthält und keine Risikobeschränkung darstellt.
Bei der Unterscheidung zwischen Obliegenheit und Risikobeschränkung kommt es nicht entscheidend auf Wortlaut und Stellung einer Versicherungsklausel an. Maßgeblich ist der materielle Inhalt der einzelnen Bedingung. Es kommt darauf an, ob die Bestimmung der Versicherungsbedingungen eine individualisierende Beschreibung eines bestimmten Wagnisses enthält, für das (allein) der Versicherer Schutz gewähren will, oder ob sie in erster Linie ein bestimmtes vorbeugendes Verhalten des Versicherungsnehmers fordert, von dem es abhängt, ob er einen zugesagten Versicherungsschutz behält oder ob er ihn verliert. Steht ein solches Verhalten im Vordergrund und tritt es nicht hinter objektive Voraussetzungen, wie z.B. den Versicherungsort oder den Zustand der versicherten Sache, zurück, so liegt eine Obliegenheit vor (BGH VersR 2000, 969 m.w.N.).
Zwar deutet die vor die Klausel 4.5 gesetzte Einleitungsformel "Voraussetzung für den Versicherungsschutz ist, dass" auf eine Risikobegrenzung hin. Der materielle Gehalt der Klausel entspricht dem aber nicht. Denn die Abgrenzung zwischen den versicherten Gefahren und Schäden und den nicht versicherten Gefahren und Schäden treffen die Klauseln 4.2 und 4.3. Klausel 4.2.1 macht die Versicherung zu einer Allgefahrenversicherung. Die Klausel 4.3 verbindet die Beschränkung der Versicherung mit außergewöhnlichen Ereignissen, die in ihrer Mehrzahl nicht mit einem Verhalten des Versicherungsnehmers zusammenhängen. Durchgängig um ein vom Versicherungsnehmer steuerbares Verhalten geht es hingegen in der Klausel 4.5.1. Die Leistungsfreiheit des Versicherers wird an Umstände geknüpft, die wenigstens typischerweise in der Hand des Versicherungsnehmers liegen (dazu Prölss, a.a.O., § 6 VVG Rdnr. 5).
b) Das Kündigungserfordernis nach § 6 Abs. 1 Satz 3 VVG konnte die Beklagte mit der Klausel 7.8.2 nicht wirksam ausschließen, § 15a VVG.
Anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht aus § 187 VVG in Verbindung mit Artikel 10 Abs. 1 EGVVG und der Nr. 7 der Anlage A zum Versicherungsaufsichtsgesetz: Bei der Transport-, Reise- und Warenlagerversicherung überwiegt nicht die Versicherung von Transportgefahren, so dass sie einer Transportversicherung im Sinne der Nr. 7 der Anlage A zum Versicherungsaufsichtsgesetz nicht gleichzuachten ist (BGH VersR 1972, 85).
c) Der Notwendigkeit einer Kündigung war die Beklagte nicht deshalb enthoben, weil die Klägerin ihrerseits den Versicherungsvertrag im November 2005 gekündigt hatte: Eine Kündigung nach § 6 Abs. 1 Satz 3 VVG ist in den Fällen einer zeitlich vorgelagerten Kündigung des Versicherungsnehmers nur dann entbehrlich, wenn der Vertrag aufgrund der Kündigung des Versicherungsnehmers ohnehin vor Ablauf der Monatsfrist endet (Prölss, a.a.O., § 6 VVG Rdn. 110). Da die Monatsfrist des § 6 Abs. 1 VVG - dazu sogleich unter d) - Mitte Januar 2006 ablief, die Kündigung der Klägerin aber nicht vor Februar 2006 wirksam wurde, blieb es bei der Vorgabe des § 6 Abs. 1 Satz 3 VVG.
d) Die von der Beklagten am 30. Januar 2006 erklärte Kündigung des Versicherungsvertrags wahrte die Frist des § 6 Abs. 1 Satz 3 VVG nicht. Die Monatsfrist begann spätestens am 16. Dezember 2005, an dem die Beklagte das Schreiben gleichen Datums verfassen konnte. In diesem Schreiben zitierte sie die von ihr für einschlägig erachtete Obliegenheitsverletzung und traf eine unter keinen weiteren Vorbehalt gestellte Aussage über die mangelnde Deckung des Schadensfalls. Damit offenbarte die Beklagte, dass ihr die zur Prüfung ihrer Leistungsfreiheit notwendigen Umstände bereits bekannt waren. Im Zeitpunkt der Kündigung am 31. Januar 2006 war die Monatsfrist bereits verstrichen.
3. Die Beklagte ist auch nicht wegen verspäteter Meldung des Diebstahls bei der Polizei leistungsfrei (§ 6 Abs. 3 VVG).
Dabei kann dahinstehen, ob die in einem Merkblatt der Beklagten enthaltene Vorgabe, "unverzüglich" der "nächstgelegenen Polizeibehörde" Anzeige zu erstatten, überhaupt geeignet war, die weniger strikten Anforderungen der Klausel 7.5.3 zu verschärfen. Der Geschäftsführer M. K. hat den Diebstahl innerhalb eines Zeitraums von weniger als drei Stunden noch am gleichen Abend der Polizeibehörde in Philipsburg angezeigt. Die Beklagte hat nicht einmal dargetan, dass am Flughafen oder in dessen unmittelbarer Nähe eine zur Aufnahme der Anzeige befugte und bereite Polizeidienststelle vorhanden war. Ebenfalls nicht widerlegt hat sie die Darstellung des Geschäftsführers M. K., für die Aufnahme einer polizeilichen Anzeige seien Kopien des abgefertigten Carnet-Einfuhrblatts erforderlich gewesen.
Leistungsfrei ist die Beklagte aber auch deshalb nicht geworden, weil dem Geschäftsführer M. K. weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist. Dass er annahm, er benötige als Grundlage für eine Anzeige zunächst Kopien des abgefertigten Carnet-Einfuhrblatts, um seine Behauptung gegenüber der Polizei, ihm sei Schmuck gestohlen worden, belegen zu können, gereicht ihm, sollte dies tatsächlich nicht nötig gewesen sein, allenfalls zum Vorwurf fahrlässigen Verhaltens. Gleiches gilt für seine Erwartung, eine Anzeige bei einer Abteilung "Kriminaldienst - Team Bekämpfung von Schwerverbrechen" werde gegenüber der Anzeige bei einer Polizeidienststelle am Flughafen - sollte sie denn überhaupt möglich gewesen sein - effizienter sein und das Interesse der Beklagten an einer zügigen Wiedererlangung der Tasche in vollem Umfang wahren.
4. Der Senat ist nach Anhörung des Geschäftsführers M. K. davon überzeugt (§ 287 ZPO), dass der Klägerin ein Schaden in Höhe von 132.555,00 Euro entstanden ist. Hieraus ergibt sich, dass die Beklagte eine Entschädigung in Höhe von Euro 84.835,20 zu leisten hat
Der Geschäftsführer bestätigte anlässlich seiner Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat glaubhaft den Verlust von 156 Schmuckstücken gemäß der von der Klägerin vorgelegten Liste (B 8). Er tat zur Überzeugung des Senats dar, der dort aufgeführte Verkaufspreis in Höhe von 132.555,00 Euro sei der für Dezember 2005 gültige. Von diesem Verkaufspreis ging der Senat bei der Berechnung des der Klägerin zustehenden Betrags aus. Der in der Klageschrift (dort S. 11) angeführte Verkaufspreis erfasste nachträgliche Steigerungen des Materialwerts und war daher nicht zu veranschlagen.
Ausgehend von einem Verkaufspreis in Höhe von 132.555,00 Euro ergibt sich nach Abzug des Selbstbehalts in Höhe von 20% ein Wert von 106.044,00 Euro. Davon entfällt auf die Beklagte als Teilschuldnerin im Umfang von 80% ein Betrag in Höhe von 84.835,20 Euro, den die Beklagte an die Klägerin zu zahlen hat.
C.
Soweit die Klägerin darüber hinaus von der Beklagten Zahlung in Höhe von 28.628,80 Euro verlangt, ist die Klage unbegründet. Insoweit steht der Klägerin aus den oben unter B.4 dargelegten Gründen ein Anspruch nicht zu. In diesem Umfang war die Berufung zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. § 97 Abs. 2 ZPO findet keine Anwendung, da das Landgericht die Zulässigkeit der von der Klägerin in erster Instanz erhobenen Leistungsklage dahinstehen ließ und ihr damit keine Veranlassung gab, schon in erster Instanz von der Feststellungsklage zur Leistungsklage überzugehen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision wird nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zugelassen, da sie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer wirksamen Abänderung des § 61 VVG durch Allgemeine Versicherungsbedingungen erforderlich erscheint.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.